Satire darf alles. Glücklicherweise. Das betrifft allerdings vor allem die Umsetzung. Was bei einer satirischen Attacke immer von Vorteil ist: Wenn die Grundthese stimmt. Dann darf man verbal Amok laufen. Sonst eher nicht, lieber Renato Kaiser.
Von Stefan Millius, Betreiber von stefanmillius.ch
Der Ostschweizer Satiriker Renato Kaiser mag sein Hirn. Das haben wir immerhin gemeinsam. Danach wird es dünn auf dieser Ebene.
In der Sendung «Zytlupe» von Radio SRF darf Kaiser siebeneinhalb Minuten sagen, wie gefährlich Covid-19 und insbesondere Long Covid ist. Er hat das schon oft und in diversen Formaten getan, und es sei ihm unbenommen. Schwierig wird es, wenn er bei seiner eher mager verhüllten Diffamierung der Kritiker von Coronamassnahmen irgendwelche Studien ins Feld führt, die er irgendwo gelesen hat und die er irgendwie interpretiert.
Das ist übrigens genau das, was den Massnahmenkritikern jeweils gern vorgeworfen wird: Dass sie sich ein beliebiges Papier herauspicken, das sagt, was sie hören wollen und dieses dann als Beleg für ihre Haltung anführen.
Gut, Kaiser darf das, der ist ja einer von den Guten.
Es geht im bewussten «Zytlupe»-Beitrag unter anderem um eine Studie aus Grossbritannien, die zeigen soll, dass das Hirnvolumen von Leuten, die sich infiziert haben, schrumpfe. Ich weiss nicht, ob Kaiser die Studie gelesen hat. Ich tippe mal: Eher nicht. Mit Sicherheit hat er aber Medienberichte ÜBER die Studie gelesen. Also die verkürzte Version, proudly presented von Medien, die seit zwei Jahren nichts anderes tun als sich auf jeden Schnipsel zu stürzen, der allenfalls Angst auslösen könnte.
Ich bin zu bedauern, es gibt spannendere Lektüren, aber ich habe mir die Studie zu Gemüte geführt. Wer auch möchte: Hier gehts lang.
Ich weiss, Satire darf verkürzen und zuspitzen. Aber eben, sie ist deutlich effektvoller, wenn sie das auf einer nachvollziehbaren Grundlage macht. Hey, Leute, euer Hirn schrumpft, wenn ihr Covid-19 einfängt, tragt Maske: Für diese (verkürzte) Aussage von Renato Kaiser bildet die Studie leider keine Basis.
Zunächst einmal entstand sie zu Zeiten der Alpha-Variante, die Resultate sind, wie die Autoren selbst festhalten, nicht auf die aktuelle Mutation von Covid-19 umlegbar. Sie gehen sogar davon aus, dass sie heute nicht mehr zu solchen Ergebnissen kommen würden. Zum anderen konnte nicht ausgeschlossen werden, dass diese Reduktion des Hirnvolumens nur temporär ist, sprich: Ob sie allenfalls schon ein paar Wochen danach nicht mehr vorhanden ist. Ebenfalls keine Ahnung hat man, ob der Effekt überhaupt irgendeinen nachweisbaren Einfluss auf die Hirntätigkeit hat. Und schliesslich wird explizit erwähnt, dass man keine Aussage darüber machen kann, ob die Entdeckung auch bei milden Erkrankungen Gültigkeit hat oder nur bei schwereren. Ach ja, Stichwort Erkrankung: Das lässt Kaiser gerne aus. Er macht das, was alle Massnahmenbefürworter tun: Ob das Virus symptomlos nachweisbar ist oder ob man hustend und frierend im Bett liegt, macht doch keinen Unterschied. Hast du das Ding, bist du so gut wie tot. Oder zumindest teilweise hirntot.
Es gibt sehr, sehr viele Studien weltweit, die durchaus interessante Entdeckungen zutage fördern, die aber über die Studie hinaus keinerlei Bedeutung haben. Weil sie nicht sichtbar werden im realen Leben. Was Kaiser macht, wenn nicht aktiv, dann immerhin wenigstens passiv durch Auslassungen: Er suggeriert, dass das Virus nach einer Übertragung grundsätzlich das Hirn schrumpfen lässt und dass das handfeste Auswirkungen hat. Er suggeriert also: Covid-19 = kleineres Hirn.
Wie gesagt: Das lasse ich gern gelten im Rahmen der Spielregeln von Satire. Nur torpediert die Tatsache, dass in der Studie nicht das steht, was er sagt, seine Schlussfolgerungen.
Dann bringt er auch noch Long Covid ins Spiel und zählt dessen Auswirkungen auf, im gleichen Atemzug behauptet er, in der Schweiz würde das Thema auf die leichte Schulter genommen.
Klar. Eine Diagnose, die nicht einmal eine einheitliche Definition hat, deren Betroffene laut Studien (!) zu 97 Prozent unter heftigen Vorerkrankungen gelitten haben, die man einfach bei so gut wie jedem Symptom einsetzen kann und über die seit Monaten praktisch täglich geschrieben wird: Diese Diagnose ist total vernachlässigt und unterschätzt. Es ist zum Heulen.
Die Wahrheit: Es gibt kaum einen grösseren aktuellen Hype als Long Covid, und die Zeichen mehren sich, dass er nicht gerechtfertigt ist (was wie immer das Schicksal einzelner Betroffener nicht schmälert, aber wir sprechen hier vom gesamtgesellschaftlichen Bild). Der gute Kaiser meint nun wirklich, er müsse die Diagnose unbedingt mal wieder in Erinnerung rufen, weil es sonst keiner tue. Liest der keine Zeitung? Oh, sorry, doch, tut er natürlich. Er betet die Inhalte ja nach.
Die Liste verängstigter Bühnenkünstler, die Angst haben (was ich respektiere) und aus dieser Angst heraus die Leute attackieren, die keine Angst haben (was ich nicht respektiere), ist lang. Galionsfiguren sind Mike Müller, Peach Weber und eben Renato Kaiser. Die finden es richtig und wichtig, dass sie ihre Popularität in den Dienst der offiziellen Coronapolitik stellen, sind aber gleichzeitig völlig entsetzt, dass einige wenige ihrer Kollegen das nicht tun.
Ich hatte nie Corona und gehe daher davon aus, dass mein Hirn nicht mal temporär geschrumpft ist. Nur für den Fall, dass der Satiriker meine Zeilen gern auf diesen Umstand zurückführen würde.